Ich habe mich damals im Herbst 2003 für einen Weg entschieden, den ich nie bereut habe und der später zu meinem Lebenswerk wurde. Nach dem Freitod meines Vaters im Frühjahr 2002 stieg ich aus meinem damaligen Berufsleben aus, zog in mein Elternhaus und übernahm die Betreuung meiner an Alzheimer erkrankten Mutter in Münsingen bei Bern. Neun Monate später reiste ich mit ihr nach Thailand, wohl wissend, dass ich mich auf ein Experiment mit ungewissem Ausgang einlassen würde. Denn ich hatte die Absicht, fortan mit meiner Mutter in einem gemeinsamen Haus in Thailand zu leben und thailändische Betreuerinnen anzustellen und für die Betreuung meiner Mutter einzusetzen. Wenn dieses Vorhaben klappen würde, so könnte ich dann auch wieder für eine Internationale Organisation tätig sein, wie ich dies bereits ein paar Jahre früher tat. Damals arbeitete ich während 4 Jahren als Sozialarbeiter für MEDECINS SANS FRONTIERES in einem HIV/AIDS Projekt in Chiang Mai, Thailand. Ich kannte die thailändische Kultur bereits und wusste in etwa was auf uns zukommen würde.
Nur meine Mutter müsste mitmachen. Würde es nicht klappen, dann gäbe es einen Plan B und wir würden nach einem Ferienaufenthalt wieder zurück in die Schweiz reisen.
Meine Mutter fühlte sich in der neuen Heimat, die sie zu ihrer alten Heimat machte, sehr wohl. Ich stellte thailändische Betreuerinnen an und bildete diese für die Betreuung meiner Mutter aus. So entstand eine neue Hausgemeinschaft – eine neue Familie. Es begann ein neues Abenteuer mit noch unabsehbarem Ausgang, aber geprägt von Experimentierfreudigkeit und spielerischem Elan.
Mein ursprünglicher Plan für eine neue Anstellung liess ich fallen, weil ich die neuen positiven Erfahrungen mit meiner Mutter auch für andere demenzkranke Menschen und ihre Angehörigen nutzen wollte.
So gründete ich im Jahr 2003 Baan Kamlangchay Co. Ltd. Eine anfänglich kleine Wohngemeinschaft in einem neu entstandenen Dorf am Stadtrand von Chiang Mai entwickelte sich während den Jahren zu einer grossen Familie. Unsere Patchworkfamilie: Meine Frau Nid und ich, unser Sohn Pepino, unsere Tochter / Stieftochter Joy, meine Mutter (gestorben 2006) und mein Stiefvater (gestorben 2020). Dann unsere demenzkranken Gäste meistens 14 an der Zahl und die mindestens 42 Betreuerinnen und Betreuer. Und das logistische Personal.
Die Baan Kamlangchay Familie umfasst also nahezu 70 Personen. Hinzu kommen die regelmässigen Besuche der Angehörigen unserer Gäste, Besuche von Freunden und Verwandten und auch Fachpersonen und Medienschaffende.
Die Tatsache, dass ich mit meiner an Alzheimer erkrankten Mutter nach Thailand auswanderte löste bei der breiten Bevölkerung viele Fragen aus und stiess auch bei den Medien auf grosses Interesse. Gestärkt durch die positiven Erfahrungen eines neuen Betreuungsmodells für meine Mutter, verbunden mit der Tatsache, dass aus einer tragischen Familiensituation ein neues Lebenswerk entstehen konnte, entstand so etwas wie ein Pioniergeist. Baan Kamlangchay entwickelte sich zu einer Grossfamilie mit einer starken Verbundenheit, die in ihrem Wirken stets überschaubar blieb und zu einem festen Bestandteil des Dorflebens geworden ist. Ich bin überzeugt, dass diese Natürlichkeit und die Integration in der Gemeinde wesentlich dazu beitragen, dass Baan Kamlangchay auch heute noch erfolgreich funktionieren kann.
Die Bedingungen in Thailand sind wohl ideal. Thailänderinnen und Thailänder haben älteren Menschen gegenüber jenen Respekt und die zärtliche Zuwendung, die bei demenzkranken Menschen gut ankommen. Damit diese wertvollen, menschlichen Qualitäten jedoch auch wirklich genutzt werden können, müssen wir sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen. Es sind familiäre und integrative Strukturen, in denen thailändische Betreuerinnen und Betreuer sich entfalten und wohlfühlen können. Ich verstehe Baan Kamlangchay als Nischenangebot. Entstanden aus meiner persönlichen Biografie. Als ein neues Modell, in dem der demenzkranke Mensch im Mittelpunkt steht.
Neue, kreative Betreuungsmodelle müssen erprobt und realisiert werden. Dies kann überall entwickelt und realisiert werden. Das muss nicht per se in Thailand sein.
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